Der Induktionsschluss
Der Induktionsschluss ist der Schluss vom Speziellen auf das Allgemeine. Folglich könnte auch die Begrifflichkeit verallgemeinernder Schluss genutzt werden. Beobachten Sie beispielsweise als Analyst bei einer Bank, zehn Mal dass der deutsche Leitindex (DAX) gesunken ist, nachdem US-Präsident Donald Trump Twitter-Nachrichten zu möglichen Straf-zöllen auf europäische Automobile geschrieben hat, könnten Sie daraus einen induktiven Schluss ableiten. Der Schluss wäre, dass nach jedem Tweet des US-Präsidenten mit dem entsprechenden Inhalt der DAX nachgibt. Der Schluss sähe schematisch folgendermaßen aus:
Fall: US-Präsident Trump twittert in zehn Fällen zu Strafzöllen auf europäische Automobile.
Ergebnis: Der DAX gibt im Anschluss an Tweets des US-Präsidenten zu Strafzöllen auf europäische Automobile nach. (in allen zehn Fällen)
Regel: Der DAX gibt nach allen Tweets des US-Präsidenten zu Strafzöllen auf europäische Automobile nach.
Es handelt sich in diesem Fall deshalb um einen verallgemeinernden (induktiven) Schluss, weil Sie als Analyst nur eine begrenzte Fallzahl (hier zehn) beobachtet haben. Oder anders: Sie haben keine systematische Auswertung aller entsprechenden Tweets betrieben. Der Schluss verallgemeinert also aus einer begrenzten Zahl an Fällen und Ergebnissen. Damit muss die aufgestellte Regel, oder Verallgemeinerung, nicht zwingend wahr sein. Der induktive Schluss ist nur möglicherweise wahr. Hier kommt es vor allem auf die relative Fallzahl im Verhältnis zur Gesamtfallzahl an, um beurteilen zu können, wie belastbar (wie wahrscheinlich) der induktive Schluss sein könnte. Hilfreich sind induktive Schlüsse vor allem deshalb, weil Sie als Analyst Schlüsse zu (Teil-)klassen, Orten oder Zeiträumen ableiten können, über die Sie keine Informationen haben. Die Induktion ist somit potenziell erkenntniserweiternd.
Als Analyst im Bereich Sicherheit könnten Sie beispielweise aus der Kombination: Am Freitag den 31.01.2020 detonierte auf dem Basar X ein Sprengsatz, am Freitag den 07.02.2020 detonierte auf dem Basar X ein Sprengsatz (und so weiter…), schließen, dass jeden Freitag ein Sprengsatz auf dem Basar X detoniert. Dieser Schluss ließe sich dann beispielsweise auch auf den kommenden Freitag projizieren (Kommenden Freitag wird auf dem Basar X ein Sprengsatz detonieren). Hierbei handelt es sich um eine zeitliche Induktion, denn weder wissen Sie, ob tatsächlichen jeden Freitag ein Sprengsatz auf dem Basar X detoniert, noch ob dies am kommenden Freitag geschehen wird.
Weiterhin als Analyst im Bereich Sicherheit eingesetzt, könnte Ihnen die Frage gestellt werden, ob sich auf der ukrainischen Halbinsel Krim Kampfpanzer befinden. Nach der Auswertung von Drohnen- oder Sattelitenaufnahmen, die zu 70% der Gesamtfläche der Krim vorliegen, konnten Sie feststellen, dass auf den Aufnahmen keine Kampfpanzer aufklärbar waren. Folglich könnten Sie zu dem Schluss gelangen, dass es auf der gesamten Halbinsel Krim keine Kampfpanzer gibt. Hierbei handelt es sich um eine räumliche Induktion, da Sie von Ergebnissen die auf 70% der Gesamtfläche der Krim basieren, auf (gedachte) Ergebnisse bezogen auf die Gesamtfläche schließen.
Der Induktionsschluss stellt schlussendlich eine Extrapolation der Informationen dar, auf denen der Schluss basiert.[1] Folglich ist der induktive Schluss auch fehleranfällig und nur zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit wahr. Bezogen auf die genutzten Beispiele würde es für die Widerlegung der Schlüsse ausreichen, wenn ein Fall beobachtet wird, in dem der DAX nach einem entsprechenden Tweet des US-Präsidenten nicht nachgeben würde, oder in dem am kommenden Freitag kein Sprengsatz auf dem Basar X detoniert oder in dem auf einem weiteren Drohnenbild doch ein Kampfpanzer auf der Krim aufgeklärt wird.
Zudem schließt der Induktionsschluss andere Schlüsse für beobachtete Fall/Ergebnis-Kombinationen nicht automatisch aus. Damit hat der Analyst also keine Möglichkeit zu unterscheiden, welcher der möglichen Schlüsse der wahrscheinlichste ist.[2]
An dieser Stelle soll hervorgehoben werden, warum im Abschnitt über Belege betont wurde, dass klar und deutlich identifiziert werden muss, in welchen Punkten eine Schnittmenge zwischen Datenlage und Fragestellung / Hypothese besteht. Denn wenn nur in Teilbereichen Überschneidungen bestehen, ist es wahrscheinlich, dass für die Anwendbarkeit des Beleges ein Induktionsschluss erforderlich ist. Hierzu eine kurze Rückkehr zum bereits genutzten Beispiel des Analysten bei der Kriminalpolizei, der die Hypothese prüft, dass ein krimineller Clan, im Raum X Schutzgelderpressungen vornimmt. Hier wurde eine Information aufgezeigt, dass der entsprechende Clan im benachbarten Raum Y Schutzgelderpressungen vor-nimmt. In diesem Fall handelt es sich also um eine Information, die eine begrenzte Schnittmenge zur Ausgangshypothese aufweist. Diese Schnittmenge besteht in dem Wer? (der kriminelle Clan) und dem Was? (Schutzgelderpressung) nicht aber in dem Wo? (Raum X bzw. Y). Hier müsste der Analyst also induktiv schließen, dass der kriminelle Clan nicht nur in Raum Y, sondern auch im Raum X Schutzgelderpressungen vornimmt, um mit diesem Beleg vollumfänglich arbeiten zu können (räumliche Induktion).[3]
Weiterlesen – Der Deduktionsschluss
[2] Vgl. Moore, David T.: Critical Thinking and Intelligence Analysis, National Defence Intelligence College, Occasional Paper Number 14, Washington DC: 2007, S. 3 ff.
[3] Formal könnte der Induktionsschluss folgendermaßen aussehen: (Fall) Der kriminelle Clan ist in Raum Y aktiv. (Ergebnis) Der kriminelle Clan betreibt Schutzgelderpressung in Raum Y. (Regel) Der kriminelle Clan betreibt in Räumen, in denen er aktiv ist, Schutzgelderpressungen. Hierbei muss dem Analysten bewusst sein, dass dieser induktive Schluss zu diesem Zeitpunkt auf einem einzigen Beleg basiert und damit sehr unsicher ist.